Unternehmerfamilien leiden stark unter der Wegzugsbesteuerung
05.10.2022
Vor genau einem Jahr haben wir uns im Editorial dieser Mandantenzeitung besorgt über die damals beschlossenen und seit Anfang 2022 nun tatsächlich geltenden Neuregelungen zur Wegzugsbesteuerung geäußert. Insbesondere die für viele Unternehmerfamilien und deren Berater überraschende und zudem noch völlig unnötige Verschärfung des Wegzugs ins EU-Ausland ließ diese ratlos zurück, scheint es doch nur eine Frage der Zeit, bis der Europäische Gerichtshof (EuGH) eingreifen wird. Aber von Anfang an:
Im Grundsatz ist es dem deutschen Fiskus nicht zu verdenken, dass deutsches Steuersubstrat gesichert wird. Das ist in Gefahr, wenn Werte von in Deutschland unbeschränkt Steuerpflichtigen hier geschaffen und durch Wegzug der deutschen Besteuerung entzogen werden. Genau das ist aber bei Kapitalgesellschaftsbeteiligungen der Fall, weil das internationale Abkommensrecht nahezu übereinstimmend vorsieht, dass Gewinne aus der Veräußerung von Anteilen an Kapitalgesellschaften ausschließlich im Land der Ansässigkeit des Gesellschafters besteuert werden dürfen – nach dem Wegzug also nicht mehr in Deutschland. Um dem entgegenzuwirken, besteuert Deutschland bei Wegzug oder aber bei Schenkung oder Vererbung an Personen, die bereits im Ausland leben, bis dahin aufgelaufene Wertsteigerungen sofort. Die sinnvolle und bisher vor allem auch als europarechtlich notwendig erachtete zinslose und zeitlich unbeschränkte Stundung bis zur tatsächlichen Veräußerung für alle EU-Fälle wurde abgeschafft. Neuerdings greift die Wegzugsbesteuerung unabhängig vom Zielland sofort.
Gerade bei erfolg- und traditionsreichen Familienunternehmen sind über Generationen erhebliche Werte aufgelaufen, die im Wegzugsfall zu enormen Steuerbelastungen ohne jeden Liquiditätszufluss führen. Für Unternehmerfamilien eine untragbare Situation – steht das Familienunternehmen doch naturgemäß gerade nicht zum Verkauf, sondern soll im Familienkreis weitergeführt werden. Die Möglichkeit einer Ratenzahlung oder die Rückzugsregel hilft in den seltensten Fällen weiter.
In der Beratungspraxis taucht die Wegzugsbesteuerung nun auch tatsächlich bei immer mehr Unternehmerfamilien als großes Hemmnis auf – sei es in Hinblick auf private Dispositionen oder aber auf die Strukturierung des Unternehmens. Gerade die derzeit nachfolgenden Generationen zeichnen sich durch eine hohe internationale Beweglichkeit aus: Kaum ein Lebenslauf ohne Auslandsstation; in vielen Familien meist mit dem Effekt, dass mindestens ein Kind – zumindest zeitweise – seinen Lebensmittelpunkt im Ausland hat. Was aber tun, wenn zu Hause die Übertragung einer Kapitalgesellschaft ansteht? Erzwungener Rückzug? Ausschluss aus der Unternehmensnachfolge? Manchmal wird die Umwandlung der Kapitalgesellschaft in eine Personengesellschaft, die von der Wegzugsbesteuerung nicht betroffen ist, in Erwägung gezogen. Aber auch das ist zumeist nicht ohne erhebliche Steuerzahlungen möglich.
Glücklich sind also die Familien, deren Unternehmen in Personengesellschaften organisiert sind? Nur auf den ersten Blick: Viele dieser Unternehmerfamilien streben eigentlich eine Umwandlung in eine Kapitalgesellschaft an – und sind daran gehindert, weil Gesellschafter oder potenzielle Nachfolger nicht die Freiheit eines Wegzugs ins Ausland aufgeben möchten.
Führt man sich diese völlig aus der Zeit gefallenen Einschränkungen vor Augen, die gerade Unternehmerfamilien, die mit ihren Unternehmen wesentliche Bedeutung für unser Land haben, durch eine einzelne gesetzliche Regelung auferlegt werden, zeigt sich dringender Handlungsbedarf. Insbesondere vor dem Hintergrund eines deutlich verbesserten Informationsaustausches und einer immer engeren Zusammenarbeit der Steuerverwaltungen muss dem Gesetzgeber doch eine Regelung mit Augenmaß möglich sein. So bliebe vielleicht auch dem EuGH Arbeit erspart.