Endlose Fortschreibung von Urlaubstagen?
02.04.2023
Rechtlich unbeantwortet war bis dato die Frage, ob ein nicht genommener Urlaubsanspruch auch ohne Hinweis des Arbeitgebers zumindest den deutschen Verjährungsvorschriften unterliegt. In seinen beiden Ende letzten Jahres ergangenen Entscheidung urteilte das Bundesarbeitsgericht (BAG) nunmehr zu Lasten der Arbeitgeber.
Bereits im Jahr 2019 hatte der Europäische Gerichtshof entschieden, dass der gesetzliche Mindesturlaub einschließlich eines etwaigen Zusatzurlaubs nur zum Ende des Kalenderjahres respektive zum 31.3. des Folgejahres, im Falle von Langzeiterkrankten spätestens nach 15 Monaten, verfällt, sofern der Arbeitgeber den einzelnen Arbeitnehmer auf den drohenden Verfall hinweist. Der Hinweis muss dabei die Zahl der dem jeweiligen Arbeitnehmer zustehenden Urlaubstage enthalten. Zudem muss der Arbeitnehmer in der Unterrichtung aufgefordert werden, seinen Urlaub so rechtzeitig zu beantragen, dass dieser noch im laufenden Kalenderjahr genommen werden kann. Gleichsam muss das Informationsschreiben einen Hinweis enthalten, dass nicht genommener Urlaub ansonsten verfällt. Aus diesem Urteil wird bereits klar, dass das deutsche Urlaubsrecht inzwischen maßgeblich vom europäischen Recht überlagert wird.
In den neuesten beiden BAG-Entscheidungen wurde nun die bis dato offene Rechtsfrage geklärt, ob sich der Urlaub bei einem fehlenden Hinweis endlos fortschreibt, oder ob zumindest nach 3 Jahren die gesetzlichen Verjährungsvorschriften greifen. Im ersten Fall klagte eine Arbeitnehmerin auf Abgeltung insgesamt 101 nicht genommener Urlaubstage aus den Jahren 2013 bis 2017. Der Arbeitgeber berief sich auf die Verjährungsvorschriften, welche grundsätzlich auf den gesetzlichen Mindesturlaub Anwendung finden. Dennoch entschied das BAG, dass die jeweilige dreijährige Verjährungsfrist nicht zwangsweise am Ende des jeweiligen Urlaubsjahres beginnt, sondern erst mit dem Hinweis des Arbeitgebers auf den drohenden Verfall. Fehlt ein entsprechender Hinweis, so verfallen die Urlaubsansprüche weder am Ende eines Kalenderjahres noch am Ende des zulässigen Übertragungszeitraumes (31.3 des Folgejahres).
In seinem zweiten Urteil stellte das BAG nunmehr klar, dass die Hinweispflichten auch grundsätzlich für die Fälle von Langzeiterkrankten gelten. Insofern gilt auch hier, dass der Urlaubsanspruch Langzeiterkrankter nicht wie bislang automatisch 15 Monate nach Ende des jeweiligen Urlaubsjahres (= Kalenderjahr) verfällt, wenn der Arbeitgeber den Arbeitnehmer nicht rechtzeitig in die Lage versetzt hat, seinen Urlaub in Anspruch zu nehmen. Geklagt hatte ein Arbeitnehmer, der im Urlaubsjahr noch bis Anfang Dezember 2014 gearbeitet hat und erst im Anschluss hieran bis August 2019 arbeitsunfähig erkrankt ist. Auch in diesem Fall urteilten die Erfurter Richter, dass der Urlaub nicht nach 15 Monaten verfallen ist, da der Arbeitgeber seinen Hinweispflichten bis zum 01.12.2014 nicht nachgekommen ist.
Als Konsequenz können, diesen beiden Entscheidungen zufolge, in einem bestehenden Arbeitsverhältnis Urlaubstage auch noch nach Jahren geltend gemacht werden, sofern der Arbeitgeber seinen Hinweispflichten nicht nachgekommen ist. Die Verjährung respektive der Verfall von Urlaubsansprüchen auch aus bereits vergangenen Jahren kann nur mit einem entsprechenden Hinweisschreiben in Gang gesetzt werden.